"Lea Rose und das Geheimnis des Skorpions" von PW

"Lea Rose und das Geheimnis des Skorpions" von PW

Kapitel 1
Die Auserwählte


Der Regen prasselte laut gegen das Fenster im Erdgeschoss.
In der Wohnung von Bellatrix war es nicht gerade ordentlich.
Denn zum Aufräumen hatte sie schon seit Jahren keine Zeit mehr gehabt.
Sie musste handeln. Musste suchen. Immer wieder.
Und heute, heute schien sie aufzugeben.
Im Zimmer war es dunkel. Das einzige Geräusch kam von dem Ticken der Uhr an der Wand, und dem Regen, der passend dazu trommelte.
Mit bleichem Gesicht saß sie da, auf ihrer dunkelroten Couch. Ihre schwarzen kurzen Haare fielen ihr ins Gesicht.
Sie starrte unentwegt dieses Stückchen Holz in ihren Händen an.
Wie, wie sollte sie es schaffen jemanden zu finden, der wusste, wie man alle retten konnte?
Der wusste, wie man das Böse bezwingen konnte?
Wie? Und vor allem, wo?
Draußen tobte ein Unwetter. Der Regen wurde lauter.
Bellatrix legte den Stab neben sich auf die Couch und zog ihren Zauberstab aus ihrer Tasche.
Sie entfachte ein Feuer im Kamin und blickte gedankenverloren in die heiße Glut.
Wenn sie nur einen Hinweis bekommen hätte. Eine Spur, der sie folgen konnte...
Doch nichts der Gleichen war geschehen.
Was waren Silvios letzte Worte gewesen?
"Nimm den Stab, nimm ihn und finde die Auserwählte! Sie wird uns alle befreien! Scorpien hat Macht! Doch die Auserwählte wird ihn besiegen können! Sie ist die einzige, die ihm ebenbürtig ist! Sie ist die, der der Stab gehorchen wird, da sie eine Macht hat, die Scorpien nicht kennt! Finde sie!"
"Finde sie!", flüsterte Bellatrix spöttisch. Natürlich hatte sie sich sofort auf die Suche gemacht.
War fast überall gewesen. Hatte alle Hexen aufgesucht, um die Auserwählte zu finden.
Und doch war alles vergebens. Keine schien auch nur den Hauch einer besonderen Macht zu haben. Alles gewöhnliche Hexen, so wie sie eine war.
Wenn Silvio nur deutlicher gewesen wäre! Wenn er ihr einen Namen genannt hätte! Eine Adresse, egal was! Trotzdem musste sie ihm dankbar sein. Ihr diese Informationen zu geben, war das letzte, was er in seinem Leben getan hatte.
Scorpien hatte es herausgefunden. Hatten ihn umgebracht, weil er ihn verraten hatte.
Scorpien war skrupellos. Ging über Leichen. Selbst über die, seiner Anhänger.
Wie nannten sie sich? Giftstachel?
Und doch... doch musste sie diese Auserwählte finden...
Es klopfte an der Tür.
"Wer da?", fragte Bellatrix und erhob sich langsam von der Couch.
"Ich bin es", rief eine Stimme hinter der Tür "Bastian.".
Bellatix ging zur Tür und öffnete. Bastian grinste glücklich. Das blonde Haar war nass und sah nun dunkler aus als sonst. Doch seine blauen Augen schienen immer noch zu leuchten. Nicht vor Angst, wie damals, als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Jetzt schienen sie nur sein Grinsen zu begleiten und ihm wieder diesen glücklichen Ausdruck zu verleihen.
"Was ist? Was willst du hier?", fragte Bellatrix kalt.
"Ähm... darf ich reinkommen?", fragte Bastian, und deutete auf das Unwetter hinter sich,
"Ist nicht besonders nett hier draußen..".
Bellatix trat zur Seite, um ihn hineinzulassen und schloss die Tür hinter ihm.
Bastian triefte vor Wasser. Von seinem Umhang tropfte es auf ihren wunderschönen roten Teppich. "Oh 'tschuldigung", sagte Bastian und mit einem Schlenker seines Zauberstabes waren er und der Teppich wieder trocken.
"Ich frage nochmal", begann Bellatrix im scharfen Ton "was willst du hier?!".
"Na, na Bella! Begrüßt man so einen alten Freund?", Bastian grinste immer noch, legte seinen Umhang ab und ging in das dunkle Wohnzimmer.
"Weißt du, du solltest mal aufräumen..."
"Was meinst du mit Freund?", rief Bellatrix aufgebracht. "FREUNDE verhalten sich anders! Sie lassen einander nicht im Stich, nur weil es gefährlich wird!"
Bastian wirkte schockiert. "Im Stich? Ach was! Immerhin hattest du noch Silvio! Der war doch so gut informiert..."
"Du weißt genau, was kurz nach dieser Information mit ihm geschehen ist!", Bellatrix fiel es schwer, nicht sofort auf Bastian einzuschlagen, der jetzt nicht mehr grinste, sondern ihr gleichgültig ins Gesicht blickte und erwiderte: "Das passiert nun mal mit Verrätern."
"VERRÄTERN?!", Bellatrix schrie und sie hätte schwören können dass, für den Bruchteil einer Sekunde, Angst in Bastians Gesicht zu sehen war. Oder war es Reue?
Schließlich sagte er: "Ja, Verrätern. Silvio hätte uns das nicht sagen müssen! Du weißt, wie Scorpien drauf ist. Bei dem hat man nicht viel zu lachen." Wieder stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht.
"Du bist so ein Idiot! Silvio hat uns eine Information anvertraut, mit der wir verhindern könnten, dass Scorpien alles an sich reißt! Wir könnten ihn aufhalten! Wenn nur die Auserwählte..."
"Oh nein! Nicht dieses Märchen schon wieder", Bastian legte sich auf die Couch. "Wir wissen beide, dass Silvio nur geblufft hat. Wie lange suchst du jetzt schon nach dieser sogenannten "Auserwählten"? Zwei Jahre? Drei? Und? Hast du sie gefunden?"
Bellatrix wurde rot vor Zorn. "Wenn du mir geholfen hättest, hätte ich es vielleicht geschafft!", erwiderte sie hitzig. Auch das schien Bastian nicht zu beeindrucken. "Wenn.. Wenn... Wenn die Taube bunte Federn hätte, wäre sie ein Papagei!", er lachte kurz auf "Begreifst du nicht? Das war wahrscheinlich nur ein Trick... Du kannst doch keinem von den Giftstacheln glauben!"
"Aber", begann Bellatrix "Aber Silvio hatte sich abgewendet! Er wollte austreten! Er wollte uns warnen, uns helfen! Und dafür hat Scorpien ihn umgebracht!"
Bastian schüttelte den Kopf. "Das glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass er das alles für UNS gemacht hat. Soweit ich weiß, war Silvio schon immer ein mieser Schleimer, der nur zu seinem eigenen Wohl handelte. Ich finde, er hat den Tod verdient. Vielleicht glaubte Scorpien, Silvio hätte ihn verraten, oder wollte uns helfen, aber diese Ratte hatte andere Pläne gehabt."
Bellatrix setzte sich langsam in den Sessel, der links von der Couch stand.
"Bastian, wie kannst du nur?", flüsterte sie leise. "Wie kannst du nur behaupten, das wäre alles ein Trick gewesen? Silvio ist für uns gestorben! Und hat mir den Stab hinterlassen!"
Bastian blickte auf. "Er hat was?", fragte er neugierig.
Bellatrix sah ihm ins Gesicht und erfreute sich an seiner Reaktion.
"Er hat mir den Stab hinterlassen."
"Nein!", rief Bastian und setzte sich näher zu Bellatrix.
"Den Stab? DEN STAB? Das ist nicht mög... Oder doch? Aber wie? Woher?", stammelte er aufgeregt.
Bellatrix lächelte triumphierend. "Jaah, DEN Stab... Er hat ihn aus Scorpiens Geheimkammer gestohlen, da er wusste, dass die Auserwählte nur damit handeln könnte. Und ich habe ihn. Um ehrlich zu sein, ich glaube, du sitzt gerade auf ihm..."
"Was?", Bastian sprang auf und tatsächlich, dort lag der kleine, beige Holzstab. Ganz unauffällig und doch so mächtig.
"Du... wirst du ihn behalten, Bella?", fragte er, während er den Zauberstab zwischen seinen Fingern drehte.
"Nein", antwortete Bellatrix entschieden. "Ich werde tun, was Silvio wollte, dass ich tue. Nur dafür, ist er gestorben. Um Scorpien zu stürzen. Und ich werde ihm dabei behilflich sein! Ich werde den Stab der Auserwählten geben, sobald ich sie gefunden habe!"
Bastian wirkte verwirrt. Seine Augen blickten begierig auf das Holz.
"Bella, bist du verrückt geworden? Wie oft noch? Dieser Kerl hat gelogen! Es kann keine Auserwählte geben! Du hast sie doch gesucht! Und hast du eine gefunden, die auch nur annähernd irgendeine Macht aufgewiesen hat? Nein! Vergiss Silvio, vergiss Scorpien! Ich bin sicher, wenn du einfach alles so lässt, wie es ist, dann wirst du glücklich leben. Und mit diesem Ding hier", er hielt den Stab vor Bellatrix' Gesicht "wirst du besser zaubern können als je zuvor!"
Bellatrix schüttelte den Kopf und nahm Bastian den Zauberstab aus der Hand.
"Vergiss es, Bastian. Der Kieferstab wird der Auserwählten überreicht. Und damit basta! Du hättest mir helfen können! Aber da du ein feiger Nichtsnutz bist, hast du dich verzogen und Silvio und mich allein gelassen! Wärst du dabei gewesen, hätte er auch dir den Stab vermacht!"
Bastian blickte schockiert. "Ich? Ich soll ein feiger Nichtsnutz sein? ICH? Bastian Ferillio? Bester Zauberer den die normalen Menschen je bewundern durften??"
Bellatrix grinste hämisch. "In der Tat, Bastian. Du mit deinen Kartentricks bringst uns zwar nicht sehr viel, aber der gute Wille der dahinter steckt ist zweifellos edel. Wer würde sich den schon trauen, Kaninchen in einem Zylinder verschwinden zu lassen? Du bist wirklich mutig!"
Bastian sprang auf. "Gut! Ich seh schon", sein sonst so schönes Gesicht war wutverzerrt "du bist immer noch genause dickköpfig wie damals! Dann such! Such deine bescheurte Auserwählte! Aber erwarte nicht, dass ich dich beweinen werde, wenn Scorpien von deinem Plan erfährt und dich umbringt!"
Bellatrix stand ebenfalls auf. "Keine Sorge", erwiderte sie kühl "du wirst mich nicht beweinen müssen. Ich werde die Auserwählte finden! Auch ohne dich! Du wirst sehen!".
Bastian schnappte sich seinen Umhang und öffnete die Tür.
Der Regen hatte nachgelassen. Hier und da fielen noch vereinzelt Tropfen in eine Pfütze auf der Straße. Bevor er hinaustrat, drehte er sich noch einmal zu ihr um. "Hast du auch schon im Süden des Landes gesucht? Ich an deiner Stelle würde nach einem rothaarigen Mädchen ausschau halten."
"Was?!", flüsterer Bellatrix entsetzt. Und all der Hochmut und ihre Überlegenheit lösten sich in Luft auf. "Süden? Rothaarig? Wie kommst du darauf?"
Zum ersten Mal wünschte Bellatrix sich, Bastians Grinsen auf seinem Gesicht zu entdecken. Doch er blickte sie nur herablassend an. "An deiner Stelle, Bellatrix Reuter, wäre ich das nächste Mal vorsichtiger, wenn ein guter Freund dich besucht, um dir wichtige Hinweise zu geben. Aber mach dir nichts draus! Ich bin doch eh nur ein feiger Zauberer, der versucht hat seine beste Freundin vor dem Tod zu schützen.", er nickte unmerklich mit dem Kopf, um sich zu verabschienden und löste sich auf der Türschwelle in Luft auf.
Bellatrix stand noch mehrer Minuten da und blickte auf die Stelle, von der Bastian verschwunden war. Wieso hatte sie nicht nachgedacht? Bastian hätte sie nie einfach so ohne Grund besucht.
Sie kannte ihn nun schon so lange.
"In Zukunft, werde ich mein Temperament etwas mehr zügeln müssen...", sagte sie leise und schloss die Tür.

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